Straubel als Geschäftsleiter der Stiftungsbetriebe Zeiss und Schott

Ernst Abbe war seit 1863 Privatdozent an der Jenaer Universität, 1870 ist er zum a.o. Professor berufen worden - im Mittel der 30jährigen Lehrtätigkeit Abbes sind Lehrveranstaltungen über sechs Stunden pro Woche im Vorlesungsverzeichnis zu finden, und er pries wiederholt »den wohltätigen Zwang des Haltens von Vorlesungen, die die Aufmerksamkeit des Dozenten in wechselnder Folge mannigfachen Gegenständen zuwenden«. Seit 1875 war er zunächst stiller Teilhaber der Zeissschen Werkstätte, von 1878 an Direktor der Sternwarte und schließlich erarbeitete er als Sozialreformer in den 1890er Jahren maßgeblich das Statut der Carl-Zeiss-Stiftung.

Zu seiner Entlastung stellte Abbe 1884 Siegfried Czapski (1861-1907) als wissenschaftlichen Mitarbeiter und Assistenten des Zeisswerks ein. Schon Anfang der 1890er Jahre hatte Abbe versucht, auch Rudolf Straubel für das Werk zu gewinnen. Straubel wollte seine akademische Laufbahn noch nicht aufgeben, wurde aber seit 1894 nebenberuflicher Mitarbeiter. »So wuchs er allerdings allmählich in die spezifischen industriellen Aufgaben hinein.«
Schließlich trat Rudolf Straubel doch am 25. Februar 1901, zunächst als wissenschaftlicher Beamter, in das Zeisswerk Jena ein, das Ernst Abbe und Siegfried Czapski versuchten, noch wie ein wissenschaftliches Institut zu leiten. Straubel blieb aber der Universität als Professor durch Lehrveranstaltungen verbunden, die er allerdings sehr einschränken mußte. Abbes Kräfte erschöpften sich in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts mehr und mehr. Im März 1903 beantragte er, die Stiftungsverwaltung möge ihn von seinen Verpflichtungen entbinden. Am l. April jenes Jahres fand schließlich die denkwürdige, letzte lange Sitzung der Geschäftsleitung statt, an der Ernst Abbe teilnahm. Kurz vor ihrem Ende erhob er sich stillschweigend und verließ mit einer jede Dankesworte abwehrenden Handbewegung den Raum, in dem er mehr als 30 Jahre die Geschicke des Zeisswerks Jena mit großem Erfolg gelenkt hatte. Rudolf Straubel übernahm de facto zu diesem Zeitpunkt Abbes Platz unter den Geschäftsleitern auf Lebenszeit.
Siegfried Czapski resümiert in einem Brief vom 23. August 1906 über den Nachfolger Ernst Abbes: »In gewissem Sinne kann mein jetziger Kollege in der Geschäftsleitung, Prof. Straubel, dafür angesehn werden«.

Neben Straubel waren zu dieser Zeit Max Fischer (1857-1930), Otto Schott (1851-1935) und Siegfried Czapski Geschäftsleiter des Zeisswerks. Nach Czapskis plötzlichem Tod 1907 hat Straubel Walther Bauersfeld (1879-1959) wieder nach Jena geholt. Bauersfeld wurde 1909 zu einem der Geschäftsleiter ernannt. Entsprechend § 13 des Statuts der Carl-Zeiss-Stiftung wirkten nach (stillem) Übereinkommen Straubel als wissenschaftlicher Leiter, Bauersfeld als technisch-konstruktiver und Personal-Leiter und Fischer als kaufmännischer Leiter.
Dem Vorstand des Glaswerks Schott & Genossen gehörten neben Otto Schott noch Eberhard Zschimmer (1873-1940), Rudolph Klett (1860-1944) und seit 1907 auch Rudolf Straubel als Geschäftsleiter an.

Stiftungskommissare, -bevollmächtigte und Geschäftsleiter nach der von Ernst Abbe im Statut der Carl-Zeiss-Stiftung festgelegten Leitungsstruktur der beiden Stiftungsbetriebe
Stiftungskommissare, -bevollmächtigte und Geschäftsleiter nach der von Ernst Abbe im Statut der Carl-Zeiss-Stiftung festgelegten Leitungsstruktur der beiden Stiftungsbetriebe
Foto: Sammlung Reinhard Schielicke, Jena
Siegfried Czapski - einer der Geschäftsleiter des Zeiss-Werkes
Foto: ZEISS Archiv
Max Fischer - einer der Geschäftsleiter des Zeiss-Werkes
Foto: ZEISS Archiv
Rudolf Straubel - einer der Geschäftsleiter des Zeiss-Werkes
Foto: ZEISS Archiv
Walter Bauersfeld - einer der Geschäftsleiter des Zeiss-Werkes
Foto: ZEISS Archiv

Neue Zeiss-Abteilungen und Patente

Mit der Übernahme der Funktion eines Geschäftsleiters hat Straubel zunächst keine wissenschaftlichen Erkenntnisse mehr publiziert. Seine Arbeit schlug sich nun nieder in einer Reihe von Patenten - 38 sind aufgelistet. Sein Hauptaugenmerk richtete sich auf die Herstellungsmöglichkeiten asphärischer optischer Oberflächen. Deren Vorteile hat er klar erkannt, und er beherrschte auch die mathematische Behandlung solcher optischen Systeme; keine Smartphone-Kamera würde heute ohne diese funktionieren. Diese Problematik beschäftigte ihn sein ganzes Leben hindurch - sein letzter im Optischen Colloquium im Abbeanum gehaltener Vortrag am 19. Februar 1943 trug die Überschrift: »Einzellinsen mit einer asphärischen Fläche«.

Straubel beschäftigte sich aber auch mit ganz praktischen Fragen: 1910 ist ihm ein Patent über einen Autoscheinwerfer erteilt worden, der vom Fahrersitz aus und während der Fahrt abgeblendet werden konnte. Schon fünf Jahre zuvor wurde seine Kombination von Tripelspiegeln patentrechtlich geschützt - als Rückstrahler oder »Katzenauge« bekannt und milliardenfach genutzt.
Folgerichtig ist 1911 im Zeisswerk die Abteilung »Auto« gegründet worden.

Die »Einrichtung zur Erzeugung sehr hoher Temperaturen mittels Sonnenstrahlen« ist 1922 patentiert worden. Straubel nutzte den Sonnenspiegel, mit dem im Fokus 3600°C erreicht werden konnten, um verschiedene Materialien zu untersuchen.

 

Abbildung aus der Patentschrift 250574 vom 12. Oktober 1910 (ZEISS -Scheinwerfer)
Foto: Patentschrift 250574 vom 12. Oktober 1910
Anzeige zum ZEISS-Scheinwerfer von 1923
Foto: Archiv Schielicke
Abbildung aus dem Straubelschen Patent für die Kombination aus Tripelspiegeln für Rückstrahler
Foto: Patentschrift 179474 vom 24. Februar 1906
Abbildung aus der Patentschrift "Einrichtung zur Erzeugung sehr hoher Temperaturen mittels Sonnenstrahlen"
Foto: Patentschrift 386264 vom 5. August 1922
Rudolf Straubel neben seinem von ihm entwickelten Sonnenspiegel.
Foto: ZEISS Archiv

Weitere Patente betrafen die Verbesserung der Gelenkdoppelfernrohre und die Objektfeldbeleuchtung für Mikroskope.
Bei seinen Projekten ließ er den auch seinen Söhnen empfohlenen Grundsatz nicht aus dem Sinn: »Beschäftigt Euch niemals mit Dingen, die andere Leute auch können. Es ist nur Zeitverschwendung«.

So hatte er Ernst Wandersleb (1879-1963) angeregt, das Zeiss-Tessar zum lichtstarken »Adlerauge Ihrer Kamera« weiterzuentwickeln, Moritz von Rohr (1868-1940) das Punktal-Brillenglas zu berechnen, Walther Bauersfeld das Projektionsplanetarium zu konstruieren und Hans Boegehold (1876-1965) die Mikroskopoptik grundsätzlich zu verbessern. - Diese Reihe von Anregungen ließe sich sicher noch erweitern. Nach den erfolgreichen Bemühungen von Rohrs um eine Brille ganz neuer optischer Qualität wurde 1912 die Abteilung »Opto« für die Herstellung der Punktal-Gläser eingerichtet, gleichzeitig die Abteilung für medizinisch-optische Instrumente.

Hans Boegehold und Ernst Wandersleb (Entwickler bei ZEISS) im großen Hörsaal der Physik.
Foto: ZEISS Archiv
Moritz von Rohr (Entwickler bei ZEISS)
Foto: ZEISS Archiv